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Wenn Unterforderung krank macht und dem Unternehmen schadet – Interview mit dem Boreout Coach Stefan Duwensee

Wenn Unterforderung krank macht und dem Unternehmen schadet – Interview mit dem Boreout Coach Stefan Duwensee

Interviews

Stefan Duwensee

 

Die Burnout-Problematik ist seit vielen Jahren in aller Munde, aber was steckt hinter dem Thema Boreout und wie kann man seine Mitarbeiter davor schützen? Der Boreout Coach Stefan Duwensee erklärt im Interview, was sich hinter der Bezeichnung verbirgt, wie man es bei den Mitarbeitern erkennt und was dagegen helfen kann.

 

Guten Tag Herr Duwensee, bitte stellen Sie sich und Ihr Aufgabengebiet kurz vor.

Mein Name ist Stefan Duwensee und ich bin zertifizierter Coach. Seit 2013 habe ich mich auf das Thema Boreout spezialisiert und bin momentan der einzige in Deutschland, der sich so explizit darauf fokussiert hat. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Menschen, die an Unterforderung leiden, zu unterstützen und zu coachen. Darüber hinaus biete ich meine Hilfe auch direkt in den Unternehmen an und arbeite dort eng mit Betriebsräten und Betriebsärzten zusammen.

 

Was versteht man unter einem Boreout?

Boreout bedeutet, dass sich ein Mitarbeiter unterfordert oder gelangweilt fühlt, aber genau das Gegenteil möchte. Die Gefahr eines Boreouts besteht dann, wenn diese Person die Situation nicht mehr aushält und darunter tagtäglich mehr leidet. Das Leiden wird größer und größer und führt zu Unzufriedenheit. Diese Unzufriedenheit führt zu Frustration und das wiederum führt zu Stress. Und dieser Stress kann krank machen.

Das Gefühl der Unterforderung oder Langeweile kann durch Monotonie im Job, spezialisierte Arbeitsabläufe, zu wenig Arbeit oder zu wenig Selbstwirksamkeit am Arbeitsplatz aufkommen, zum Beispiel wenn der Mitarbeiter auf Arbeitsprozesse zu wenig einwirken kann oder die Fähigkeiten des Mitarbeiters über den Anforderungen liegen.

 

Welche Folgen kann so ein Boreout haben?

Wenn Menschen sich nicht abgeholt fühlen, ziehen sie sich zurück und sind demotiviert. Es kommt zu Dienst nach Vorschrift und zur inneren Kündigung, es wird nicht mehr zeitlich oder fachlich effektiv gearbeitet. Die Fehlerquote steigt und die Leistung des betroffenen Mitarbeiters vermindert sich. Prof. Dr. Stock-Homburg von der TU Darmstadt spricht davon, dass die Unternehmen Ressourcen verbrennen, da das Potential der Mitarbeiter nicht mehr ausgeschöpft wird.

Für die Mitarbeiter kann es zu gesundheitlichen Auswirkungen kommen: grippale Effekte, Rücken- oder Magenbeschwerden sowie Schlaflosigkeit, also alle Formen der Stresserkrankungen bis hin zur Erschöpfung. Längere psychische Erkrankungen können folgen. Dadurch kommt es zu erhöhten Krankheitszahlen und -zeiten, aber es ist schwer diese Folgen immer eindeutig der Unterforderung zuzuordnen.

 

Kommt Boreout bei allen Mitarbeitern vor oder gibt es bestimmte Branchen, die besonders gefährdet sind?

Der »Stressreport Deutschland« der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gibt darüber Auskunft: Im Grunde sind durchweg alle Branchen von Unterforderung betroffen. Die Ausnahme bilden die Elektro- und Ingenieursberufe. Jeder Mitarbeiter kann in eine Situation geraten, die ihn unterfordert. Die Diplom-Psychologin Carol Dweck unterscheidet an dieser Stelle Menschen mit einem dynamischen Selbstbild und Menschen mit einem statischen Selbstbild. Personen mit einem dynamischen Selbstbild sind lösungsorientiert, können ihr Leben noch selbst in die Hand nehmen und versuchen mit der Unterforderung klar zu kommen. Menschen mit einem statischen Selbstbild haben das Gefühl alles aushalten zu müssen, leiden darunter und kämpfen mit gesundheitlichen Folgen. Sie vermeiden Konflikte, nehmen alles so hin, wie es ist und sind daher auch eher Boreout-gefährdet. Menschen mit einem dynamischen Selbstbild holen sich Hilfe oder suchen sich eine andere Arbeit.

 

Glauben Sie, dass besonders jüngere Generationen von Boreout betroffen sind?

Auf jeden Fall. Es gibt dazu auch eine Erhebung von der Deutschen Universität für Weiterbildung von Prof. Ada Pellert, die belegt, dass explizit junge Mitarbeiter stark darunter leiden. Sie sind gut ausgebildet und motiviert, aber gerade zu Beginn ihrer Karriere fühlen sie sich häufig unterfordert. Sie wollen mehr und wurden zur Selbstständigkeit erzogen, aber dem wird von Unternehmen häufig nicht genug Beachtung beigemessen.

 

Wie kann man diese Unterforderung bei Mitarbeitern erkennen?

Es gibt Boreout-Strategien, auf die man achten kann, zum Beispiel die Dokumentenstrategie: Der Schreibtisch ist voll und es sieht aus, als wäre viel Arbeit da. Oder es gibt die Pseudo-Commitment-Strategie: Leute tun so, also wären sie stark involviert. Sie kommen morgens zuerst und gehen abends spät und nehmen Arbeit mit nach Hause. Aber wenn man sich die Arbeitsleistung anschaut, kann es sein, dass da nicht viel Effektivität bei rumkommt. Das Ganze passiert, weil sie Angst haben ihren Job zu verlieren. Auch die Fehlerquote oder der Krankheitsstand können Hinweise auf eine Boreout-Gefahr sein.

Ich habe zum Beispiel einen Boreout-Test entwickelt, den kann man anstelle des Mitarbeiters ausfüllen, wenn man das Gefühl hat, dass der Mitarbeiter sich nicht gefordert fühlt. Wenn es ein Vertrauensverhältnis gibt, kann man den Boreout-Test im Mitarbeitergespräch gemeinsam durchgehen. Ich schlage vor, grundsätzlich über das Thema Boreout aufzuklären und eine Sensibilität für das Thema zu schaffen. Wichtig ist, das Thema Boreout offen anzugehen und die Leute einzuladen, selbst zu kommen und zu signalisieren, dass die Menschen nicht ihren Arbeitsplatz gefährden, wenn sie ihre Unterforderung ansprechen.

 

Sicherlich haben viele Mitarbeiter Hemmungen darüber zu sprechen, weil sie Angst vor Konsequenzen haben. Wie kann man diese Hemmschwelle noch weiter abbauen?

Man sollte den Betriebsarzt involvieren und zum Ansprechpartner machen, denn das ist am ungefährlichsten. Aufgrund der Schweigepflicht ist er eine Vertrauensperson. Dafür muss er natürlich für das Thema sensibilisiert sein, dies kann beispielsweise ein externes Coaching leisten.

 

Wie kann man Mitarbeiter vor Boreout bewahren und helfen, wenn sie betroffen sind?

Im ersten Schritt sollte ich dem Menschen helfen dies zu kommunizieren. Es gibt viele Menschen, die unzufrieden sind und in Gesprächen selbst erkennen, dass sie mehr können. Wichtig ist auch, dass Personalverantwortliche einen Blick dafür haben, was an Potenzial ungenutzt bleibt.

Manche Unternehmen können sich nicht einfach umstrukturieren. So sind beispielsweise Versicherungen in den Abteilungen immer spezialisierter geworden, um die Fehlerquote zu reduzieren. Was den Angestellten total gut tun würde, wäre die Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit. So können Personalverantwortliche in regelmäßigen Mitarbeitergesprächen anerkennen, dass es sehr vereinfachte Arbeitsabläufe mit relativ wenig Selbstbestimmung gibt, die aber zur Zukunftsfähigkeit des Unternehmens beitragen. Wenn ein Vorgesetzter das zurückmeldet, sieht auch der Mitarbeiter einen anderen Sinn in der Arbeit und die Unterforderung spielt nicht mehr so eine große Rolle. Er fühlt sich wichtig und fühlt sich gesehen. Das Gefühl der Austauschbarkeit und die daraus resultierende Frustration haben keinen Stellenwert mehr. Wenn diese Rückmeldung im Rahmen von Mitarbeitergesprächen regelmäßig kommt, dann sind große Umstrukturierungsmaßnahmen gar nicht mehr nötig.

 

Viele Untersuchungen belegen den hohen Stellenwert von Wertschätzung für die Motivation und Mitarbeiterbindung. In einer wissenschaftlichen Studie mit dem Umfragezentrum Bonn hat machtfit herausgefunden, dass 85 % der Befragten ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) als Wertschätzung empfinden und 33 % sich dadurch stärker an das Unternehmen binden. Wie sehen Sie das, kann BGM dazu beitragen einem Boreout vorzubeugen?

Das glaube ich auf jeden Fall. Wenn Menschen sich anerkannt fühlen, in dem was sie machen und das mit dem Wissen, einen einfachen Job mit viel Routinearbeit zu erledigen, der aus unternehmerischer Sicht aber notwendig ist und entsprechend anerkannt wird, dann sehen sie einen anderen Sinn in ihrer Arbeit. Das schafft Motivation. Dafür kann betriebliches Gesundheitsmanagement eine wichtige Unterstützung sein und langfristig positive Aspekte für jeden einzelnen Mitarbeiter schaffen.

 

Diese individuelle Zuwendung ist auch bei machtfit sehr wichtig. Jeder Mitarbeiter hat einen eigenen Zugang und kann Kurse aus verschiedenen Bereichen wählen.

Das ist absolut wichtig. Hier geht es um Authentizität, denn wenn ich das Gefühl habe, doch nur wieder eine Nummer zu sein, dann bringt das nichts. Dieser Aspekt ist heute noch bedeutender als früher: In den 1950/60er Jahren lagen die Erziehungswerte vor allem auf Befehl und Gehorsam, heute geht es mehr um Selbstständigkeit und Eigenverantwortung. Wenn man so aufgewachsen ist, dann fordert man das natürlich auch von seiner Arbeit. Deswegen müssen die Leute gesehen werden. Das ist letztendlich ein Wertewandel der Gesellschaft.

 

Vielen Dank für das Interview Herr Duwensee!

Stefan H.G. Duwensee betreut und berät als Boreout Coach bundesweit Führungskräfte und Mitarbeiter vor Ort, per Telefon oder per Online-Coaching. Darüber hinaus informiert er Interessierte regelmäßig auf Messen oder auf seinem Blog.

 

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