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Mit dem klassischen BGM erreichen wir eigentlich nur die Gesunden« – Interview mit Prof. Dr. Volker Nürnberg

»Mit dem klassischen BGM erreichen wir eigentlich nur die Gesunden« – Interview mit Prof. Dr. Volker Nürnberg

Interviews
Prof. Dr. Volker Nürnberg lehrt seit 2011 Betriebliches Gesundheitsmanagement an der Hochschule für angewandtes Management in Erding, TU München und ist Advisory Partner und Leiter des Fachbereichs Gesundheitswirtschaft der BDO Prüfungsgesellschaft (ehemals war er Leiter des Health Managements bei der Mercer Deutschland GmbH).

machtfit hatte die Chance, mit ihm über den Status Quo im BGM, was sich im betrieblichen Gesundheitsmanagement noch tun muss, das neue Präventionsgesetz und das BGM der Zukunft zu sprechen.

Prof. Dr. Volker Nürnberg

Um Sie zu zitieren, Sie sagen oft »klassisches BGM ist tot?« – Was ist dann Status Quo?

Der Status Quo ist, dass BGM daran krankt, dass wir unsere Problemgruppen nicht erreichen, sprich die Leute die Risikofaktoren haben wie Übergewicht, Bluthochdruck, falsche Ernährung usw. Mit dem klassischen BGM erreichen wir eigentlich nur die Gesunden bisher. Und die mit leichten Risikoparametern entgehen uns mit dem klassischen Gesundheitsmanagementformen.

Was müsste sich dann ändern?

Die Ansprache, die Kommunikationskanäle müssten sich ändern. Sprich: wir brauchen intelligentere, vernetztere Lösungen, insbesondere Web-basierte Lösungen um die Generationen die nachkommen, wie die Generation Y zu bedienen. Mit den herkömmlichen Rückenschulen werden wir gerade die junge und mittlere Generation nicht hinter dem Ofen hervorlocken können.

Welche Gesundheitsmaßnahmen werden heute nicht im betrieblichen Gesundheitsmanagement gefördert, sollten aber Ihrer Meinung nach dazu gehören?

Ein großes Thema ist das Thema Schlaf wo das Gesundheitsmanagement noch nicht viel macht oder auch ganz exotische Themen wie Bruxismus, das ist das Zähneknirschen. Das ist überwiegend stressbedingt, d.h. man bekommt vom Zahnarzt eine Schiene, würde man jedoch die Ursache angehen, würde das von allein weggehen. Das sind Randthemen die bisher nicht gefördert werden. Auch Themen wie die Internetsucht. Die ist bisher nicht nach § 20 SGB V anerkannt als Sucht, auch das wird in der Zukunft ein Thema werden und sollte integriert werden.

12 Monate Präventionsgesetz – wie ist Ihr Zwischenfazit?

Die Kassen haben eine Menge Geld auf den Markt gespült, aber einen riesen Qualitätsschub hat es jetzt – glaube ich – nicht gegeben. So ganz hat es die Erwartungen nicht erfüllt aber wir sind auf einem guten Weg. Man muss einfach schauen wie es sich entwickelt, zumindest die kleinen und mittleren Unternehmen partizipieren noch nicht so.

Was können mittelständische Unternehmen, die KMUs, mit kleinen Personalabteilungen im BGM für ihre Mitarbeiter machen?

Auch da gilt es letztendlich innovative Lösungen zu finden, d.h. vielleicht sich mit benachbarten Unternehmen zusammen zu tun, und ein Projekt aufzustellen, was sich als einzelner nicht lohnen würde. Oder auch zu web-basierten Lösungen greifen, die nicht so teuer sind und gerade bei Unternehmen mit Filialsystem Sinn machen. Die kleinen Unternehmen haben auch ihre Vorteile, da die Entscheidungswege und Prozesse viel schneller sind als in einem Großkonzern. Man kann bei einem kleinen Unternehmen die BGM-Maßnahme noch zielgenauer auf das Unternehmen und die Mitarbeiter ausrichten.

Welche Herausforderungen gibt es für Unternehmen im Gesundheitsmanagement für die Zukunft?

Die Herausforderung der Zukunft wird sicher das Demographie Thema sein, insbesondere vor dem Recruiting Gedanken. Es kommen zu wenige Absolventen und denen muss man etwas bieten. Es sind eben die höheren Werte nach der Maslowschen Bedürfnispyramide wie Gesundheit, Freiheit, Wohlbefinden. Das ist – glaube ich – ganz wichtig. Die Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen, also die Verhältnisprävention stimmt. Dies reicht von Arbeitszeiten bis hin zur Entlohnung, vom gesunden Essen bis zu Kooperationen im Gesundheitsbereich. Das muss ein Unternehmen alles abdecken, sonst werden sich die Arbeitskräfte und Nachwuchskräfte für andere Unternehmen entscheiden. Ohne das sind sie nicht wettbewerbsfähig. Noch wichtiger ist es, die Mitarbeiter zu halten. Wenn die Mitarbeiter wissen, dass sie in ihrer Firma einen Zuschuss zum Yoga Kurs oder Fitness Studio bekommen oder einen eigenen Krankengymnasten haben, dann werden sie im Zweifel das Unternehmen auch nicht verlassen.

Welche Länder sind im internationalen Vergleich Vorbild?

Die Skandinavier haben tendenziell einen niedrigeren Krankenstand als unserer und machen das zum Teil relativ innovativ. D.h. sie schaffen es, dass die Mitarbeiter weniger zum Arzt gehen als die Deutschen. Da sind die Deutschen ja Weltmeister mit 18-19 Arztbesuchen pro Einwohner im Jahr, in Skandinavien sind wir bei 8-9. Bei gleichen Arbeitsbedingungen scheint da in Deutschland etwas falsch zu laufen. Bei vielen Arztbesuchen bleibt dann eben eine Krankschreibung hängen. Da müssen die Deutschen noch dran arbeiten.

Im betrieblichen Gesundheitsmanagement können wir auch von den Amerikanern lernen, die sehr viel mit Anreizen arbeiten. In Amerika ist es so, dass die Firmen z.T. direkt die Krankheitskosten der Mitarbeiter tragen müssen, da diese keine Krankenversicherung haben. D.h. die Firmen haben ein Interesse daran, dass ihre Belegschaft gesund ist. Sie arbeiten mit materiellen Anreizen wenn man z.B. x Schritte im Jahr macht bekommt man 1000 Dollar extra über einen Schrittzähler oder wenn man nicht krank ist, bekommt man eine extra Vergütung. Da sind die Amerikaner schon ganz gut aufgestellt. Das ist aber auch nicht unkritisch. Ich rate Unternehmen nicht dazu, Krankheit zu vergüten, denn wir haben eine andere Kultur und andere Werte als die Amerikaner. Das ist auch nicht alles wünschenswert.

Wie sieht BGM 2030 aus?

Ich bin kein Prophet aber denke es wird sich noch stärker in den psychischen Bereich verschieben. Themen wie Schlaf, Führung, soziales Klima sind die Hauptparamenter die im Vordergrund stehen und ich hoffe, dass wir bis dahin zu intelligenten Lösungen gekommen sind, dass wir dort das BGM voranbringen. Die weichen Faktoren werden zunehmen und die harten Faktoren wie »richtig Heben« werden eher in den Hintergrund treten.

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